Ernährungssouveränität ist das Recht aller Menschen, über die Art und Weise, wie Essen produziert, verteilt und konsumiert wird, demokratisch zu bestimmen

Zur Geschichte und dem Konzept der Ernährungssouveränität:

Das Konzept der Ernährungssouveränität wurde 1996 beim Welternährungsgipfel der Food and Agriculture Organization of the United Nations (FAO) von La Via Campesina, dem weltweiten Bündnis von Kleinbäuer*innen, Landarbeiter*innen, Fischer*innen, Landlosen und Indigenen, vorgestellt.

Seit damals ist Ernährungssouveränität das politische Leitmotiv einer wachsenden Anzahl von sozialen Akteur*innen aus den unterschiedlichsten gesellschaftlichen Sektoren. Kleinbäuer*innenbewegungen (zunächst vor allem in Lateinamerika und Europa, später dann global) erkannten Anfang der 1990er Jahre, dass angesichts der Globalisierung der landwirtschaftlichen Märkte und der zunehmenden politischen Macht von Institutionen wie der WTO im Bereich der Landwirtschaft eine ebenfalls global tätige Allianz von Bäuer*innen vonnöten ist. Mit der Gründung von La Via Campesina wollten sie den neoliberalen Entwicklungen, die die (Über-)Lebenschancen von Millionen Kleinbäuer*innen beschnitten und die Situation der Hungernden weltweit verschlechterten, eine starke transnationale Bewegung entgegenstellen. Als Antwort auf den technischen Begriff der „Ernährungssicherheit“ (food security), der von der FAO geprägt wurde und zahlreiche Fragen ausblendet, erarbeitete die junge Bewegung das Konzept der Ernährungssouveränität. Ernährungssouveränität fragt nach den Machtverhältnissen, in die unser Lebensmittelsystem eingebettet ist, sie fragt nach den Bedingungen der Produktion und Verteilung, sie kümmert sich um die Auswirkungen unserer Produktionsmethoden auf zukünftige Generationen und sie stellt die Menschen, die Lebensmittel produzieren und konsumieren, in den Mittelpunkt.

Die Prinzipien der Ernährungssouveränität

Ernährungssouveränität wird als Rahmen verstanden, der laufend durch lokale und konkrete Umsetzung ausgefüllt werden muss. Ernährungssouveränität wird immer wieder neu in kollektiven Prozessen ausgehandelt und ist nicht für ein für alle Male definiert.

Die 5 thematischen Achsen von Ernährungssouveränität

  • I. Achse: Produktion von Nahrungsmitteln
  • II. Achse: Nahrungsmittel-verteilung
  • III. Achse: Arbeits- und soziale Verhältnisse
  • IV. Achse: Gemeingüter
  • V. Achse: Nahrungs- und Landwirtschaftspolitik

Dazu gehören die Wertschätzung der Lebensmittelhersteller*innen, der Vorrang der Ernährung der Bevölkerung (anstelle der Produktion für den Export), die Etablierung von lokalen Produktionssystemen sowie die Stärkung der lokalen Kontrolle, der Aufbau von Wissen und Fertigkeiten und nicht zuletzt die Arbeit mit der anstatt gegen die Natur. Ernährungssouveränität umfasst Rechte von Einzelpersonen, Gemeinschaften und Institutionen (wie zum Beispiel Staaten) sowie einen verantwortungsvollen Umgang mit der Natur, den Tieren und den Mitmenschen. Im vorherrschenden Agrar- und Lebensmittelsystem wird dem Großteil der Produzent*innen das Recht auf demokratische Teilhabe in allen Politikbereichen, die die Herstellung, die Weiterverarbeitung und Verteilung von Lebensmitteln bestimmen, systematisch verweigert. Internationale Handelsabkommen, Subventionssysteme, Gentechnikgesetzgebungen, Hygienebestimmungen, Richtlinien zum Zugang zu Märkten, Produktionsvorschriften etc. werden größtenteils ohne Mitspracherechte der unmittelbar davon Betroffenen verabschiedet. Das Recht, die Agrar-, Lebensmittel-, Fischerei-, Sozial-, Handels- oder Energiepolitik demokratisch zu kontrollieren und zu bestimmen, ist die Voraussetzung dafür, andere Rechte – wie etwa das Recht auf Nahrung, auf Bildung, auf Zugang zu Ressourcen – durchsetzen zu können. Erst durch all diese Rechte wird es Produzent*innen möglich, ihrer Verantwortung für natürliche Ressourcen, wie zum Beispiel Boden, und für Biodiversität und Klima gerecht zu werden, damit auch zukünftige Generationen hochwertige Lebensmittel erzeugen können. Ernährungssouveränität verpflichtet dazu, solidarisch zu sein. Wir brauchen transnationale Solidarität, Vernetzung und gegenseitige Unterstützung, um Ausbeutung und Herrschaftsmechanismen die Stirn bieten zu können. Lokaler Widerstand und lokale Alternativen müssen um eine globale Perspektive ergänzt werden.